„Wer Tiere so peinigt, gehört doch gesteinigt,
bespuckt und begraben
Nicht, dass ich das jetzt vormach
Das ist nur ein Vorschlag
Man könnte sie auch verbrennen“
Es gibt ein paar Dinge ohne die ich mir die Welt nicht vorstellen kann, weil sie schon immer da waren. Die Simpsons, „Kalkofes Mattscheibe“ und natürlich, meine Lieblingsbänd seit 17 Jahren, Die Ärzte. Ich werde leider miterleben müssen wie all das zu Ende geht. Irgendwann. In ferner Zukunft.
Aber das Vermächtnis der Besten Band der Welt wird immens sein. Denn Musik bleibt. Farbe ebenso.
Und dazu zählen selbstverständlich auch ihre Solo-Projekte. Meine synästhetische Übersetzung von Farins 3. Album „Die Wahrheit übers Lügen“ ist Thema dieses Beitrags.
Anders als noch bei dem kompositorisch viel leichter zu strukturierenden „Endlich Urlaub!“, wo ich mit klaren Abgrenzungen arbeiten konnte, liegt hier ein einziges Farbgewebe vor. Ein 40x60 großer Acrylteppich aus hauptsächlich runden und weichen Gebilden.
Geometrische und ungegenständliche Formen sind zwar in den 16 Bildobjekten relativ ausgeglichen, jedoch nicht statisch. Sie sind ständig in Bewegung und manchmal auch „unscharf an den Rändern“. Deswegen habe ich hier meistens fließende Übergänge und Vermischungen benutzt.
"Die Wahrheit übers Lügen", 19. Januar 2018, 40x60cm, Acryl auf Leinwand
Alle drei Grundfarben sind vertreten. Gelb und Rot dominieren die Farbgebung. Fangen wir deshalb mit Blau an, denn das taucht nur einmal in „Atem“ auf. Obwohl es ein Lied über Nähe und Geborgenheit ist, distanziert es sich in gemaltem Zustand mit seinen eisigen, bis ins Weiß reichenden, Tönen. Mit seinen scharfen Kanten greift es die anderen Bildelemente sehr hart an und vermittelt den Eindruck gar nicht in die Gesamtkomposition passen zu wollen. Es steigt aus der unteren linken Ecke in das Bild hinein, aus der rechten ragt ein roter Berg empor, welcher aus zwei Songs zusammen gesetzt ist. Der Fuß ist das großartige „Karten“. In einem festen Zinnobermassiv wabern hellrote Stücke. Ihre Konsistenz erinnert mich an sehr fein geschnittenes Melonenfleisch.
Eigentlich ein Song über einen Angehörigen mit Fernweh, den man gehen lassen muss, erinnert er mich jedoch an einen guten Freund. Zirka alle zwei Jahre verschwindet er aus meinem Leben und ist nicht mehr zu erreichen. Plötzlich taucht er wieder auf, mit neuer Nummer, neuer Wohnung, neuem Job. Wenn er eine persönliche Krise durchmacht, leider ziemlich häufig der Fall, zieht er sich komplett von allen zurück und regelt allein seine Probleme. Ist er dann wieder greifbar, ist es als wäre er nie weg gewesen. Ich wünschte, er würde dann wenigstens mal ´ne Karte schreiben!
Die Spitze des Berges wächst aus dessen roter Masse als der Anti-Pelz-Song „Seltsam“ heraus. Ein wilder Hardrock-Klotz mit kräftigem Beat, der die Wut und das Unverständnis ob dieser fürchterlichen Tierquälerei perfekt verdeutlicht.
Der Titel des Albums entstammt einem Song der es nicht mehr auf die Platte geschafft hat, da Farin keine Zeit mehr hatte ihn rechtzeitig zu vollenden. Er hängt vom oberen Rand wie ein Ast nach unten. Ein knöchernes Gebilde und stellenweise offen scheint es alt und porös, aber in diesem Rotbraun gleichzeitig mondän. Der lange, knallrote Balken dahinter ist das Optimismus versprühende „Trotzdem“. Sein Rand ist so wässrig, dass alles, was in seine Nähe kommt ins Schwimmen gerät.
Ihm gegenläufig drängt, nicht ganz an der Leinwandmitte verlaufend, gemütlich ein Strang in prallem Rot nach vorn. „Monster“, ein Lied zur Huldigung des Rock´n´Roll, halbiert die Bildfläche waagerecht. Darüber und darunter habe ich die vertikalen Objekte angeordnet.
Unten überwiegen die roten Lieder, oben die gelben. Die epische Herzschmerz-Rockballade „Niemals“ beispielsweise steht als großes, strahlend gelbes Rechteck senkrecht am Rand. Als ich mit Anfang zwanzig unter grausamen Liebeskummer litt, spielte ich immer wieder dieselbe Playlist rauf und runter. Doch kein anderer Song passte so gut auf meine Situation wie dieser. Jede einzelne Zeile wie gespuckt! Das richtige Lied zur richtigen Zeit. Danke dafür, Farin!
Genau darunter finden wir eine auf der Seite stehende gelbe Augenform. Eine geschwungene, schwarze Linie wie ein mit Eyeliner gezogener Schwalbenschwanz begrenzt sie nach rechts. Es ist der Song über den mysteriösen „Gobi Todic“. Wer dieser Mann war, ist beim besten Willen nicht herauszufinden. Im Text wird zwar angedeutet, er sei KGB-Agent gewesen, aber darüber gibt es keine handfesten Informationen. Manche Fans meinen, er sei keine reale Person und Farin hatte seinen diebischen Spaß als sich alle darüber in Sackgassen recherchierten. Andere glauben, der Name sei ein Pseudonym für ihn selbst und er will lediglich sagen, dass er endlich wieder da sei. Das letzte Album lag immerhin drei Jahre zurück.
Der gelbe Kreis in der oberen Hälfte ist Teil des schroffen Openers „Nichimgriff“. Er steht an den schwarzen Ufern eines Sees aus Grautönen zwischen Rauch, Taube und Schiefer. Die vertikale, längliche, graue Form links vom Kreis gehört ebenfalls zu diesem Songgebilde. Ein gelber Rinnsal zieht sich hindurch. Dazwischen verbinden sich Grau und Gelb zu einem dreckigen, grünlichen Ton. Paradox wie dieses Gebilde in sich ruht und einladend wirkt, vergleicht man es mit seinem musikalischen Pendant.
Um die Komposition auszupendeln, habe ich je ein großes, graues Element in beiden Bildhälften platziert. Das fantastische „Krieg“ besteht nur aus breiten Schriffeln, die ich unmittelbar auf der Leinwand gemischt habe. Mit zwei sehr flachen Pinseln habe ich abwechselnd Schwarz und Weiß übereinander gestrichen.
Die Text-Musik-Schere ist hier erwähnenswert. Anfangs lächelt man noch, wenn Farin zur fröhlichen Basslinie unseren nervigen Alltag mit Krieg vergleicht. Doch spätestens beim Mitklatsch-Part in der 3. Strophe und der realistischen Beschreibung von richtigem Krieg, wird einem klar, dass man ihm mal wieder auf den Leim gegangen ist.
Hinter dem Top 50-Hit versteckt sich eine leuchtend gelbe Ellipse, deren Rand fiebrig rot glänzt. Insofern ungewöhnlich, da ich diese Form extrem selten höre. Sie tritt als das tolle „Insel“ in Erscheinung. Vordergründig ein witziger Gruß an die Kollegen von Seed, offenbart er am Ende seine eigentliche Kapitalismus-Kritik.
(Art & Design: Nifra al´Urub, Erik Weiss, Farin Urlaub, Uwe Jähnichen, Schwarwel)
Vier Tage nach seinem 41. Geburtstag, am 31. Oktober 2008, erschien „Die Wahrheit übers Lügen“ auf Völker hört die Tonträger, Universal. Aufgenommen in den GT-Acoustic Research Facilities in Spanien. Anders als auf den beiden Vorgängern, die er zum größten Teil allein eingespielt hat, holte er sich erstmals sein Racing Team, das ihn bisher nur live unterstütze, direkt ins Studio. Das hat dem Sound in Sachen Fettigkeit wahrlich gut getan.
Melodisch reduzierter und mit reiferen, melancholischeren Texten versehen, übertrifft er sogar „Am Ende der Sonne“. Das Album ist thematisch im Grundtenor, trotz Lieder wie „Niemals“ oder „Seltsam“, fröhlicher. Und, dass Farin Urlaub einer der besten Songtexter Deutschlands ist, ist ja wohl unbestritten! Wer außer dem großen Blonden bringt so lässig „Einflugschneisen“, „Prophylaxen“ und „Elektrofachgeschäft“ in Reimen unter?
Die Platte besteht aus einem großen Album, genannt Büffelherde, und einem kleinen, dem Ponyhof. Und diese Namen sind Programm. Mit „Nichimgriff“ steigt Farin schon heftig ein und das Tempo und die Aggression halten sich bis hin zu „Karten“, mit wenigen Ausnahmen, konstant. Der lediglich vier Songs starke Ponyhof dient zur abschließenden Entspannung. Kritiker bemängelten gerade diese Aufteilung oft. Eine Zusammenfassung beider Teile hätte ein ausgewogeneres Album ergeben. Auch bewerteten sie den Ponyhof für sich genommen positiver, da er die urlaubsche Experimentierfreudigkeit so schön zelebriert. Da gibt es Reggae, Dancehall und Ska in Reinform. „Trotzdem“ beendet es dann aber dennoch gebührend laut.
Ich mag so wild getriebenen Punkrock über weite Strecken ja total gerne und finde diese Einteilung deshalb richtig gut. Meine Empfehlung für längere Fahrten! Das kleine Album wird zum Runterkommen hinterhergeschoben.
Wo wir gerade dabei sind: Wer von den bisher Unerfahrenen jetzt voll Bock bekommen hat sich endlich mal intensiv mit dem Werk des Berliners auseinanderzusetzen, dem oder der seien auch unbedingt die Singles ans Herz gelegt. Darauf finden sich nämlich mal kleine B-Seiten-Perlen wie "Der Frauenflüsterer" und mal große wie "Die perfekte Diktatur".
(Quelle: mainstage.de )
Angenehme Beigetöne sind über die ganze Leinwand verteilt. In der oberen rechten Ecke, beginnend mit einem weißen A capella – Intro, sitzt das witzige „I.F.D.G.“ mit einer wabbeligen Masse aus sandigen und hellgelben Streifen und völlig durchtränkt von „Trotzdem“. Sie gehen nach unten nahtlos in „Unscharf“ über. Es hat eine weiße Haube mit Tentakeln, wie ein Tintenfisch oder eine Qualle vielleicht, die eine Spur aus Maisgelb und einem goldstichigen Gelb hinterlässt.
Auf eine eingängige Popmelodie und das spannende Schlagzeugspiel von Rachel Rep singt Farin einen Text, der den Hörern bis heute Rätsel aufgibt. Es wird nicht klar um wen oder was es geht. Man liest alle möglichen Interpretationen: eine Freundin mit Depressionen oder Autismus, die Seele, seine Gitarre, seine Kamera und, meine favorisierte Theorie, Lara Croft aus den frühen Versionen von „Tomb Raider“. Die Erklärungen zu letzterer machen durchaus Sinn. Wenn Ihr mal Langeweile habt, gebt mal „Farin Urlaub Unscharf Bedeutung“ in eine Suchmaschine ein. Da seid ihr erstmal beschäftigt.
Gleiches passierte 2014 mit „Immer dabei“ von „Faszination Weltraum“. In einem damaligen Promointerview mit Markus Kavka erklärte er zu diesem Lied, dass er meistens Texte einfach so schreibe wie sie ihm einfallen und sie fast nie einen autobiografischen Bezug hätten. Die Zeilen zu „Immer dabei“ gefielen ihm gut und so wurde der Song eben so veröffentlicht. Außerdem freue es ihn, wenn jeder eine ganz eigene Idee dazu entwickle. Man kann davon ausgehen, dass es sich mit „Unscharf“ genauso verhielt.
Obwohl es mir zunächst nahezu unmöglich schien, einen Favoriten auszusuchen, kristallisierte sich dann am Ende doch ein Song ganz deutlich heraus: „Zu heiß“. Eine astreine Reggae-Nummer! So konsequent war FU in diesem Genre noch nie. Das ist mir dann schon einen Lieblingssong wert. Außerdem höre ich ab und zu auch gerne mal „ein bisschen Tillmann“. Als zwei kleine sandgelbe Spangen umklammert es den Balken von „Trotzdem“, wird aber von diesem gnadenlos weggeschwemmt.
Diese Performance ist aus der „Krachgarten-Tour“ von 2009. Drei Konzerte wurden aufgezeichnet und sollten auf DVD erscheinen. Leider wurde eine der Tonspuren „in einer unglaublichen, aber wahren Verkettung von unglücklichen Umständen“, so Farin, gelöscht und eine DVD war damit gestorben. Die restlichen Aufnahmen wurden unter dem passenden Titel „Lass es wie einen Unfall aussehen“ als kostenloser Download auf seiner Homepage bereitgestellt. Sehr fanfreundliche Geste und es wäre wirklich Schade um das schöne Material gewesen. Seht selbst und genießt!
In Kombination mit Beige höre ich auch Grün, die einzige Sekundärfarbe auf diesem Album, in „Pakistan“. Darin erscheint es als zwei längliche Formen in zartem Limone, aber auch als kühles Erbsen- und Armeegrün. Die etwas limitierte Farbvorgabe des Farin Urlaub Racing Teams bot mir kaum Möglichkeiten für Kontraste. Um immerhin diesen einen Komplementärkontrast mitzunehmen habe ich es in „Seltsam“ hinein ragen lassen. Zusammen mit „Atem“ schaffen diese Grüntöne außerdem einen kalten Gegenpol zu den warmen roten Liedern.
Die Weißanteile habe ich rechtsbündig gehalten, damit sie mit den wenigen übrigen unbunten Parts Hell-Dunkel-Kontraste erzeugen können. Oben ist das Stück von „I.F.D.G.“, relativ mittig sitzt die „Unscharf“-Qualle und darunter, umgeben von einer gelben Linie, die Moritat „Die Leiche“. Es schließt ein verwaschenes ebenfalls weißes Dreieck und einen sonnengelben Quader ein. Dieser sowie „Unscharf“ schmiegen sich an „Monster“ an und richten ihre Bewegung an ihm aus.
Auf ihrer „Es besteht keine Gefahr für die Öffentlichkeit“-Tour 2015 gaben sie eine wunderbare Live-Version davon zum Besten, zu hören und sehen auf der „Danger!“-DVD. Die gibt es wirklich. So richtig zum Anfassen und in den Player einlegen.
Dieses Album hat nicht mehr die Sonne-Strand-Surfen-Atmosphäre wie „Endich Urlaub!“, sondern erzeugt Aufbruchstimmung. Man hält kurz inne um noch einmal wehmütig zurück zu blicken, richtet dann aber den Blick sehnsüchtig nach vorn.
Als „Die Wahrheit übers Lügen“ erschien, war mein Leben im Umbruch. Vielleicht verstehe ich die Lieder deshalb so. Ich war 19, gerade erst ein viertel Jahr vorher zu Hause ausgezogen und musste lernen auf eigenen Beinen zu stehen. Hatte keine Ahnung, wohin mit mir. Aber meinen Platz suchen hat Spaß gemacht. Es war eine tolle Zeit!
Leute, ich habe jetzt richtig Lust auf ein Die Ärzte- Konzert bekommen! Oder FURT! Oder Bela B!
Arrghhh....!
Ich wünsche Euch dennoch einen wunderschönen November!
Eure TinTro
Zitat aus "Seltsam"