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  • AutorenbildTinTro

„Faszination Weltraum“

Und du wünschst dieser Welt,

Dass endlich Hirn vom Himmel fällt

Es wäre schön, wenn sie verstehen:

Zum Homo Sapiens gehört nicht nur aufrecht gehen“


„Faszination Weltraum“, das 4. Soloalbum von Farin Urlaub und das 2. mit seinem Racing Team, erschien am 17. Oktober 2014 auf Völker hört die Tonträger (Universal). Wie gewohnt herrlich getrieben, lärmende Melodien und rauchende Riffs! Brachte ihm glatt eine Echo-Nominierung in der Kategorie „Rock National“ ein. Ja, ich weiß, der Echo! Anderes Thema.

Das Cover zeigt ihn als Footballspieler, der eine Gruppe von (aus unerfindlichen Gründen) halbnackten Frauen nieder gerannt hat. Auf seinem Shirt prangt die 76 als Verweis auf das Geburtsjahr des Punk.



(Art & Design: Olaf Heine, Typeholics)


Die Komposition der 16 Bildobjekte habe ich genauso strukturiert wie bei „Am Ende der Sonne“.

Fast alle waagerechten Elemente wurden von unten links nach oben rechts gestapelt und die senkrechten an den Rändern angeordnet. Farblich ist es dagegen seinem Vorgänger „Die Wahrheit übers Lügen“ sehr ähnlich. Es ist genauso ein grundfarben-dominiertes Bild und Rot ist dabei tonangebend. Das geht schon beim Titel los, der als Dreieck in strahlendem Tomate von links auf einer weißen Wolke gebettet in das Bild ragt. Mit „Mein Lied“ kracht die Platte zwar ordentlich drauf los, doch ich höre es nur als eine große, statische Fläche in der oberen, rechten Ecke.

Oder das zum Arme hin und her Wedeln verleitende „Fan“. Der Abgesang auf ein Idol, das sich an die Industrie verkauft hat. Tatsächlich ist dieser Song Farins Antwort auf die Kritik einiger Fans an ihm selbst. Ein paar Zeilen sind direkt aus Kommentaren übernommen. Ich mag Songs mit diesem tollen roten Gitarrensound. Er entfaltet sich in einem bananenförmigen Bogen an den sich ein zweiter, passend in einem gedeckten Gelb, anlagert.

Direkt darüber zieht sich „Herz? Verloren“ einmal quer über die Leinwand. Es braust in einer großen, roten Welle heran und wird von einer ebenso roten Wolke ausgebremst. Ihre Schaumkrone hat diesen schönen tiefen Blauton, der immer dunkler wird je näher er dem Kern kommt. Mir fiel es wieder einmal sehr schwer, mich für ein Lied von FURT für diesen Beitrag zu entscheiden. Die Singles sind absolut fantastisch, aber z.B. „Sommer“ und „Immer dabei“ sind genauso stark. Letzteres wäre beinahe mein Lieblingslied geworden. Doch „Herz? Verloren“ hat dieses coole Intro bei dem man sofort weiß, dass gleich etwas passiert. Deshalb eignete sich dieses Punkbrett so gut als Vorbote für das Album und die Geschichte des Videos spielt mit dem Gefühl von drohender Gefahr und bietet selbstverständlich eine urlaubeske Wendung.



Gelb höre ich nur in Verbindung mit anderen Farben. Nicht nur bei „Fan“, das ich im unteren Bildbereich platziert habe, um diesen aufzuhellen. Auch im rundum genialen „iDisco“ (eine Anspielung auf Apple-Produkte: iPad, iPhone), wo es an einem großen, weißen Kreis klebt, wie Dotter an einer aufgeschlagenen Eierschale. Ein Lied über die in der Gesellschaft grassierende Dummheit. Leider wird es immer aktueller, denn ich das Gefühl habe, die Menschen werden wieder primitiver. Vielleicht besteht da ein Zusammenhang mit dem technologischen Fortschritt.

Das großartige „Immer dabei“ ist ein kurzer, vertikaler Strich oben links mit einem hellgrauen Fleck, eingequetscht zwischen den anderen Elementen. Abgesehen davon, dass Rachel es hier am Schlagzeug killt, ist der Text bemerkenswert. Wie schon zuvor bei „Unscharf“ wird wild spekuliert, worum es geht. Die Seele? Das Gewissen? Das Bewusstsein?

Farin sagte dazu einmal, dass seine Texte nicht jedesmal etwas ganz Bestimmtes bedeuten, sondern auch für jeden frei interpretierbar sein können. Übrigens sind sie zudem selten autobiografisch.




Die kornblumenblaue Wolke, die sich rechts anschließt, und von Türkis und Eisblau umschlungen wird, ist das fröhliche „AWG“. Man will sofort tanzen! Tanzen! Sofort!

Darin geht es darum die Dinge einfach hinzunehmen wie sie sind. Sich mal nicht so viele Sorgen über alles zu machen und sich seinem Schicksal zu fügen anstatt unerreichbaren Zielen hinterher zu rennen. Akzeptieren, dass das Leben einen an Plätze führt, an denen man vielleicht nie sein wollte, aber dass das nicht unbedingt schlecht ist. Irgendwann muss man einsehen, dass nicht jeder Tag eine Konfettiparade ist und das ist völlig okay. So geht es uns allen und ich habe gelernt, mit den richtigen Menschen kann man auch im hektischen Alltag kleine Momente voll Glitter und Flitter finden.

Oder wie Farin es in „Newton hatte Recht“ selbst ausdrückt: „Was nicht geht, geht nicht.“ Während einer seiner ausgiebigen Afrikareisen wurde das, wie er in einem Radiointerview sagte, sein „Mantra“ und er nahm es mit seinem Diktiergerät auf. Es beginnt mit einem sonnig-beigen Ball in einem bläulich-grauen Ring an dem ein erdbeerroter See frisst, auf dem wiederum hauchdünne Fetzen in Basilikum treiben.

Links von „Immer dabei“ erscheint „Keine Angst“ in einem matten Nachtblau. Farin erzeugt hier eine dunkle Atmosphäre durch hohes Tempo gepaart mit zurückgenommenen Gesang, der lediglich sieben Verse ohne Refrain hat.



"Faszination Weltraum", 27. Januar 2018, 40x60cm, Acryl auf Leinwand


Die Komplementärfarben sind spärlich gesät. Grün taucht nur noch in „3000“ in einem sehr hellen, strahlenden Ton auf. Orange taucht bloß im absolut irren „Sommer“ auf. Man könnte das Objekt als einen abstrahierten Schmetterling mit einem roten linken und einem gelben rechten Flügel beschreiben. Bei der fatalistischen Musik und dem abrupten Ende muss ich stets an ein Paar denken, das sich noch ein letztes Mal einredet, dass ihre Beziehung zu retten ist. Doch eigentlich hat jeder bereits für sich entschieden es zu beenden.

„Heute tanzen“ besteht aus zwei dunkelbraunen Ellipsen auf weißem Grund. Die rechte hat einen Rahmen und aus der linken steigt eine Wolke in warmen Grau. Über den weißen Boden ziehen sich dreckig-braune Schlieren.

Ein merkwürdiges Gebilde erscheint unter „Keine Angst“. Es besteht aus einer ebenfalls braunen Unform, die an einer hellgrauen hängt und mit babyrosa Schriffeln glasiert ist. Diese selbst haben Ausläufer, die eine spitze, hummelgelbe Form einschließen. Es ist das Superhelden-Lied „Was die Welt jetzt braucht“.

„Faszination Weltraum“ wird von warmen Farben getragen. Die wenigen kalten Töne habe ich in der linken, oberen Ecke gesammelt. Die unbunten Farben sind noch reduzierter und ich habe die wenigen Parts auf der ganzen Leinwand verteilt. Am augenfälligsten von ihnen ist der waagerechte, zinnfarbene Klotz von „Dynamit“, der von einem flüssigen Rahmen in verschiedenen dunklen Grautönen umflossen wird.

Obendrauf ist die obligatorische Ska-Nummer, das gemütliche „Find dich gut“ als kleinerer Klotz in Kastanie. Wie zwei übereinander stehende Backsteine geben sie der ansonsten instabilen Komposition Halt. Daneben ordnet sich die wunderschöne Ballade „Das Traurigste“, mit herzzerreißenden Streichern, als schwarzes Viereck, das auf einem langen gelben Quader sitzt und von weißen halbdurchsichtigen Streifen umspielt wird, an. Diese konkreten geometrischen Formen habe ich also auch an einer Stelle gebündelt. Die restlichen, gegenständlich sowie ungegenständlich, sind in Bewegung und sanft-rundliche oder zärtlich-gestreckte Gestalten.

Entgegen dem kuscheligen Charakter des Bildes, wo sich die Farben teils vermischen bzw. aneinander schmiegen, ist der des Albums schroff und rasant. Um diesen trotzdem aufzuzeigen habe ich einige Elemente, z.B. den Ball in „Newton hatte Recht“, das Dreieck im Titel oder den „Sommer“-Schmetterling, mit breiten, zackigen Pinselstrichen dargestellt.

Obwohl Farin wie üblich mit anderen Stilen experimentiert (diesmal mit lateinamerikanischen Klängen, Metal und einem Hauch Jazz) und über all dem diese eingängigen Popmelodien liegen, ist in der synästhetischen Übersetzung nicht viel los. Die hauptsächlich sehr großen Objekte haben so gut wie keine Details. Keine Punkte, Tupfen oder Linien. Das Bild erheischt seine Aufmerksamkeit durch seine Leuchtkraft und seinen heiteren Ausdruck.

Nicht überraschend dagegen, die Texte sind wieder hervorragend. Diesmal jedoch nicht mehr ganz so zynisch, von „iDisco“ mal abgesehen, und weitaus ruhiger und insbesondere im Vergleich zu „Endlich Urlaub!“ nicht mehr so humorvoll. Die Themen drehen sich um Ankommen, Zerstreuung, das Hier und Jetzt schätzen und gleichzeitig die Zukunft mit einem positiven Blick erwarten.

Farin Urlaub übertrumpft sich mit jedem neuen Album selbst. Ich erinnere mich richtig gut, was für einen mächtigen Eindruck dieses nach dem ersten Hören auf mich gemacht hat und wie lange er nachwirkte. Und es hat in sechs Jahren nicht an Wucht und Reife verloren. Farin hätte dieses Album auch genauso heute schreiben können.

Die Musik der Die Ärzte ist zugleich Zeitgeist und zeitlos. Obwohl sie nicht permanent präsent sind, sind sie für mich wie ein Fels in der Brandung. Gefährten, Tröster, Saufkumpel, Vertraute und Unterhalter. Eine Lieblingsband ist immer mehr als eine Gruppe Musiker, die man gut findet. Sie ist eine Art von Liebe und zu Hause.

Einen schönen Sonntag wünsche ich!



Eure TinTro






Zitat aus "iDisco"





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