„Heaven knows what will come next So emotional, you're so complex A rollercoaster built to crash But I still love to have you around“
Wenige Alben habe ich so sehnsüchtig erwartet wie Gwen Stefanis Solo-Debüt!
Sowie angekündigt, saß ich auf glühenden Kohlen. Am 12. November 2004 war es endlich soweit und ich wurde nicht enttäuscht! „Love. Angel. Music. Baby.“ erschien auf Interscope Records. Die Abkürzung L.A.M.B ist ein Verweis auf ihre Modemarke, benannt nach ihrer verstorbenen Hündin.
No Doubt gingen nach ihrem letzten Studioalbum „Rock Steady“ 2001 in die große Pause und ihre Frontfrau wollte sich musikalisch lediglich an ein paar Kollaborationen und Soundtracks beteiligen. Jimmy Iovine, Mitbegründer und Vorstand von Interscope, überzeugte sie schlussendlich ein komplettes Album zu machen.
Unterstützung beim Songschreiben holte sie sich neben anderen bei No Doubt-Bassist Tony Kanal, Pharrell Williams und der legendären Linda Perry. Außerdem saßen Hip Hop-Schwergewicht Dr. Dre und Nellee Hooper, der schon mit Sinéad O´Connor, Björk und No Doubt selbst gearbeitet hat, mit im Produzententeam. Was konnte da noch schief gehen?
Abgeliefert hat sie einen irren Mix aus New Wave, R&B, Soul, Elektro-Pop und einer Brise Dance Rock. Dieses außergewöhnliche Album wird für immer eins meiner Favoriten sein, denn es ist vollgestopft mit Lieblingsliedern: „Serious“, „Danger Zone“, „The real thing“, „Bubble Pop Electric“, „Crash“ ...
(Art & Design: Gwen Stefani, Jolie Clemens, Nick Knight, Shinjuko, Tomoe Ohnishi, John Copeland, Nicole Frantz)
Die Komposition der 13 Bildobjekte geht vom Titel im Zentrum aus, in dessen eigener Mitte ein rosa Quadrat sitzt. Es grenzt sich mit einer dicken Linie in Malve und einer in einem minzigen Türkis zu den umgebenden Farben ab. Die recht großflächigen Lieder habe ich anhand dieses Vierecks um „Love. Angel. Music. Baby.“ herum ausgerichtet.
Weiß erklingt von den Nichtfarben am häufigsten. Hier höre ich es in Form von Wolken, die im Uhrzeigersinn in einem Fluss aus unterschiedlichen Blautönen schwimmen. Ich liebe solche Ströme! Man kann die Farben sich selbst überlassen. Sie mischen sich miteinander nach ihrem Belieben. Sie geben mir nur die Richtung, die Breite und ein paar Grundfarbtöne des Flusses vor. Streng genommen sind es diesmal sogar zwei. Unter dem Hauptstrom in mildem Wasser-, steigt ein anderer in Kornblumenblau hervor.
Zusätzlich hat der Fluss Ausläufer, die quer über die Leinwand fließen. Wie schon bei „Endlich Urlaub!“ habe ich diese genutzt um die Objekte voneinander abzugrenzen. Entweder mischen sie sich mit deren Rändern oder sie schließen sie ein. Geometrische und ungegenständliche Formen halten sich die Waage.
"Love. Angel. Music. Baby.", 8. Dezember 2017, 40x60cm, Acryl auf Leinwand
Bei diesem Cover und Gwen Stefanis exzentrischem Style würde man ein viel bunteres Bild erwarten. Doch nicht mal hier erklingt Violett. Schade! Doch viel ungewöhnlicher, Grün höre ich auch nicht. Trotzdem ist es zumindest im Gemisch mit Blau entscheidend für die allgemeine Farbstimmung des Werkes. Denn Türkis ist die tonangebende Farbe auf diesem Album. Das ist insofern bemerkenswert, da ich sie sonst nicht in diesem Ausmaß höre. Sie lässt von Eis bis Petrol nichts aus.
Letzteres ist eine besonders schicke Facette. Sie ist wie ein großer, sanftmütiger Mann, der sehr elegant ist ohne sich dessen bewusst zu sein. „Serious“ kleidet sich darin. Es stellt sich in zwei Parts dar, die ständig ihre Gestalt und Größe wechseln als würden sie zu diesem großartigen Synthie-Pop-Song tanzen. Deshalb konnte ich sie als Lückenfüller in der rechten Hälfte nutzen. In der oberen Ecke und in einer langen, vertikalen Spalte.
„Luxurious“, eher durchschnittlich, aber mit einem tollen Text, drängt sich im gleichen Ton von links in den Farbstrom, der sich darüber in der oberen Ecke in ein stumpfes Blau verwandelt hat. Entgegen den lässigen R&B-Rhythmus hat die synästhetische Übersetzung ein ordentliches Tempo drauf. Es rast vor meinem inneren Auge einfach dahin. Mein „Blick“ muss immer wieder aufholen. Ich habe versucht diese Bewegung mithilfe von dünnen Richtungslinien zu verdeutlichen. Des Weiteren dient es als dynamischer Gegenpol zum rechts daneben sitzenden „Rich Girl“, da sie entgegengesetzt angeordnet sind.
Stefani erklärt darin tiefempfundene Liebe zum einzig wahren Reichtum. Er beinhaltet ein Sample des Hits „Between the sheets“ der Isley Brothers und auf der Single-Version gibt es dazu noch einen Rap-Part von Slim Thug. Irgendetwas hat mich jedoch immer an dem Song gestört. Vielleicht ist es Gavin Rossdale, der am Anfang ein paar Zeilen auf französisch spricht. Abturner!
Die beiden waren damals frisch verheiratet und plötzlich auftauchende uneheliche Töchter und Kindermädchen-Affären für Gwen Stefani noch unvorstellbar.
Der dritte Song in Petrol „Long way to go“ ist ein Duett mit Andre 3000, das als großer Querbalken unter dem Titel liegt. Der Outkast-Sänger hatte bereits ein Demo in der Schublade und wollte ihn eigentlich auf sein erstes Solo-Album „The Love below“ packen, aber erst in Zusammenarbeit mit Stefani beendete er das Elektro-Soul-Stück. Darin geht es um die gesellschaftlichen Schwierigkeiten, die gemischtrassige Paare haben und ist leider immer noch aktuell. Es featured Auszüge aus Martin Luther Kings berühmter „I have a dream“-Rede. Das Thema wird zwar nur an der Oberfläche angekratzt, „Long way to go“ bietet dennoch insgesamt gesehen einen kraftvollen Abschluss für diese krachende Platte.
Aber zurück zum Anfang: Der treibende Opener „What you´re waiting for“ sitzt linker Hand des Titels. Auch er trägt einen breiten Streifen dieses minzigen Türkistons neben dem noch ein weißer nach oben verläuft. Im Text verarbeitet sie all ihre Ängste, die sie vor der Produktion durchlitten hat. Sie fürchtete sie sich vor der Studioarbeit ohne ihre Bandkollegen und hatte das Gefühl, sie zu betrügen. Gleichzeitig kämpfte sie mit einer Schreibblockade bei der ihr auch Linda Perry nicht helfen konnte, da Stefani aus Ehrfurcht von dieser total eingeschüchtert war. Aber als endlich der Knoten platzte, entstand dieser hervorragende Elektro-Pop-Song.
Trivia: Franz Ferdinand machten daraus ein rotzige Punk-Nummer ohne dabei den 80er-Vibe zu verlieren.
Das sehr coole „Bubble Pop Electric“ ist ein weiteres Duett mit Andre 3000 alias Johnny Vulture. Der hektische Elektrosong ist paradoxerweise in seiner farblichen Übersetzung als Quadrat in einem mittleren Blau, das in einen Halbkreis übergeht und an das sich ein hellblauer Ring anschmiegt, total tiefenentspannt.
„The real thing“ ist eine traumhaft schöne Dance Pop-Ballade bestehend aus einer babyblauen Fläche, die horizontalen Seiten gewellt, auf einem krummen weißen Sockel.
Das Name Dropping geht weiter: Bernard Summer und Peter Hook zeichnen hier für Backround Vocals und Bass verantwortlich. Insofern passend, da der Song sehr an die frühen New Order erinnert. Übrigens ist ein „Wendy and Lisa Slow Jam Mix“ dieses Songs als Bonustrack mit auf dem Album, der sogar noch wunderbarer als das Original ist.
Überhaupt ist die Platte sehr blaulastig und bot mir kaum Möglichkeiten das auszubalancieren oder Kontraste zu setzen. Deswegen habe ich zwischen diese zwei sehr hellen Elemente das dunkle „Cool“ gesetzt. Marinblau ist auch ein großer Mann, jedoch stark und verschlossen. Ich freue mich immer ihn zu treffen.
Dieses Lied ist ein Quadrat beim dem sich die untere Seite wellt und so konnte ich es nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip mit „The real thing“ zusammensetzen.
Weil es einen nahezu unbesungenen Aspekt von Liebesbeziehungen behandelt und dabei so locker groovt, habe ich es zu meinem Lieblingssong erklärt. Der folgende Auftritt ist aus einem Konzert von 2017. Diese einzigartige Stimme, diese starke Bühnenpräsenz! Ich würde sie und all ihre tollen Songs gerne mal richtig live erleben.
Die Sekundärfarben sind, wie bereits erwähnt, so gut wie nicht vorhanden. Nur Orange zeigt sich als Hintergrund in „Rich Girl“. Es wird von einem mahagonibraunen Streifen gespalten. Auf der linken Seite schließt sich eine fahnenähnliche Form in einem warmen Orangebraun an, auf der rechten dagegen ein längliches sonnengelbes Gebilde. Das Lied hätte ein strahlender Fixpunkt in der Gesamtkomposition sein können, aber sein Ausdruck wird von einer Schicht gelber, breiter Schriffel gedämpft. Diesen Begriff habe ich erfunden für etwas, dass weder ein Tupfen noch ein Strich und auch kein Spritzer ist. An einer Stelle ist es dies, an einer anderen das.
Musical-Liebhaberin Stefani war sofort begeistert als Dr. Dre die Idee zu diesem Song an sie herantrug. Denn er wurde von „If I were a rich man“ von Louchie Louie & Michie One aus dem Jahr 1994 inspiriert, der wiederum an den gleichnamigen Song aus „Anatevka“ von 1964 angelehnt ist. Es ist außerdem ihre zweite Zusammenarbeit mit Rapperin Eve. Drei Jahre zuvor stürmten das Duo mit „Let me blow ya mind“ die Charts. Fuck, hab ich das abgefeiert! Muss die Single mal wieder raussuchen.
Braun bringt sich ebenfalls nur zaghaft ins Spiel. Direkt über dem Titel sitzt es als dunkles Rechteck in „Hollaback Girl“, das von einem Schleier in einem helleren Ton eingerahmt wird. Ein schmaler gelber Bogen, mit dem er über so etwas wie einen Knopf verbunden ist, führt das Objekt fort. Ein weißer, in der Breite unbeständiger, Streifen lagert sich daran an. Abgerundet wird es von einer kurzen schwarzen Wellenlinie. Die vertikalen Segmente habe ich genutzt um in der überwiegend blauen rechten Bildhälfte kleine Akzente zu setzen. Außerdem bilden die nach unten laufenden Bögen eine Parallele zu den nach oben strebenden von „What you´re waiting for“ auf der gegenüberliegenden Seite des Titels.
Im dazugehörigen Video tritt sie als Cheerleaderin auf. Dieses Kostüm hat einen Hintergrund. Courtney Love nannte Stefani, in einem Vergleich des Musikbiz mit einer High School, abfällig die Cheerleaderin. Diese Ablehnung rührt angeblich daher, dass Love eine Verflossene Rossdales sei. Wie auch immer, das war Gwens Antwort darauf. Nur, falls Ihr Euch immer gefragt habt, warum sich eine 35-Jährige wie ein Teenager anzieht. Sie trieb Loves High School – Vergleich noch weiter auf die Spitze, indem sie sich von einer Marschkapelle, wie sie an amerikanischen Schulen typisch sind, begleiten ließ. Inklusive Klarinette, Tuba, Pauke und allem Zipp und Zapp.
„Hollaback Girl“ wurde zur am meisten verkauften Single von „Love. Angel. Music. Baby.“ und brachte ihr ihre erste Nr. 1 ein. Ganz zu Schweigen davon, dass dieser Song als erster jemals die 1 Millionen-Download-Marke knackte.
1:0 für Gwen
In einem angenehmen Schokoladenton entspringt „Harajuku Girls“ aus der unteren linken Ecke und verläuft in einem Bogen zum Titel. Meiner Meinung nach der einzige schlechte Song auf der Platte. Darin geht es um den Kleidungsstil junger Leute aus dem tokioer Stadtteil Harajuku. Ja, im Ernst! Mehr ist es nicht. Gwen Stefani wollte damit bloß ihre Begeisterung für diese spezielle japanische Kultur ausdrücken. Schön und gut, aber absolut überflüssig.
„Crash“ hat sich als helltürkiser, senkrechter Balken an den linken Bildrand verzogen. Er steckt in einem gelben Gebilde mit einer hellgelben Haube. Diese habe ich, zum Schluss nachdem die Farben getrocknet waren, einfach mit einer Lage in Gelb und einer in Weiß direkt darüber gemalt.
Obwohl das Lied mit seinen Salt´n´Peppa – Anleihen richtig cool ist, ist es eigentlich nicht stark genug um für sich selbst zu stehen. Es als 6. Single auszukoppeln war offensichtlich eine Notlösung. Tatsächlich musste Stefani aufgrund ihrer Schwangerschaft ihr zweites Album verschieben.
Die drei gelben Anteile habe ich dreiecksförmig verteilt. Oben das wilde „Rich Girl“, rechts der Teil von „Hollaback Girl“ und unten links eben der von „Crash“.
Die dritte Grundfarbe Rot höre ich zumindest pur und nur einmal. Und zwar in der fantastischen Elektrorock-Nummer „Danger Zone“, die ebenfalls von einem dunkleren, schmalen Schleier eingerahmt wird. Seine Leuchtkraft wird ihm auch von Schriffeln, jetzt grau und schwarz, genommen. Diese habe ich mit der dünnen Seite eines Stücks Pappe erzeugt, indem ich sie erst durch Farbe und dann über die Leinwand gezogen habe. Sie strecken sich nach denen von „Rich Girl“ aus um sie zu sich zu ziehen. Der Ähnlichkeit in Form wegen habe ich es über den Quader von „Hollaback Girl“ gesetzt.
(Quelle: Vogue.com )
Die Unpersönlichkeit des Albums wurde oft kritisiert. Stefani wollte aber in erster Linie eine Partyplatte mit leichten Themen machen. Eine kleine Hommage an die quietschbunten 80er mit ihrem Power-Pop und der überdosierten Nutzung von Synthesizern. Quellen der Inspiration waren z. B. Madonna, Depeche Mode, Club Nouveau und Prince.
In Anbetracht ihrer Ska-Punk-Vergangenheit hat sie damit alle überrascht. Doch, wenn man sich darauf einlässt, entdeckt man eine ganze Welt voll von einnehmenden Melodien, unerwarteten Brüchen und verführerischen Beats.
Das gilt im Übrigen für alle ihre Alben. Jedes einzelne Lied ist eine Schatzkiste. Der stolpernde Rhythmus in „Bubble Pop Electric“, der in der Bridge wie mit einer Vollbremsung gestoppt wird oder die Veränderungen ihrer Stimmlage in „What you´re waiting for“ um den Dialog zu verdeutlichen oder das großartige Intro von „Serious“.
Die Liebe zum Detail steckt nicht nur in wirklich jedem Song, sondern geht über ihren damals neuen Look, eingekleidet von Vivienne Westwood, bis hin zum liebevoll gestalteten Booklet.
Die Lieder sind so süß und fluffig wie Zuckerwatte, was sich in dem großen Pastellanteil und dem teilweise wässrigen Farbauftrag, besonders beim Petrol, wiederspiegelt.
Mit „Love. Angel. Music. Baby.“ hat Gwen Stefani den Sound der 80er renoviert und sich neu erfunden. Mich hatte sie augenblicklich am Haken. Ich erwarte bis heute jedes Album noch genauso sehnsüchtig.
Euch wünsche ich einen schönen Oktober!
Eure TinTro
Zitat aus „The real thing“