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Die Indie-Welle der 2000er - „It was only a kiss“

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts erlebte der Rock´n´Roll seine letzte große Welle … bisher. Eine unüberschaubare Menge an Independent Bands feierte in einem Retro-Revival als hätten sie den Rock gerade erst erfunden.

Von nostalgischen Gedanken an die 60er, die keiner von ihnen miterlebt hat, ergriffen, verzerrten sie ihre Gitarren und machten Beats wieder tanzbarer. Selbstdarstellung war (zumindest in den Anfangsjahren) kein Thema. Der Fokus sollte rein auf der Musik liegen.

In Anlehnung an ihre Idole The Smiths oder The Beatles nannten sie sich The Streets, The Vines, The Hives, The Killers, The Decemberists, The National und und und. Man nennt diese Gruppe sogar direkt die „The“-Bands.

Oder sie setzten auf merkwürdige Namen a la Wolfmother, Kaiser Chiefs, Modest Mouse, Arctic Monkeys, Death Cab for Cutie oder Bombay Bicycle Club.

Und sie waren überall: im Radio liefen sie rauf und runter, im Fernsehen saßen sie bei „Interaktiv“ auf der Couch oder spielten bei „Kuttner.“ (auch wenn da gefühlt jede 2. Sendung Moneybrother zu Gast war). Und wir hörten sie in der Werbung. TV-Spots verhalfen vielen Songs zu höheren Chartplatzierungen: z.B. Feists „1, 2, 3, 4“ von 2007, das für den Apple iPod Nano rotierte oder „Jerk it out“ der Caesars von 2009, das gleich für Coca-Cola, Nivea, Renault und Apple warb.

Zuerst muss aber geklärt werden, was unter dem Begriff „Indie“ bzw. „Independent“ zu verstehen ist. Musiker*innen sind dann Independent, wenn sie ihre Platten über kleine, von den Majorlabeln unabhängigen, Firmen vertreiben oder sogar alles selbst finanzieren. Seit den 90ern wird auch „Alternative“ als Synonym für vom Mainstream abgewandte Musik verwendet. Aktuell zählen ca. 100 Stile dazu.

Seine Anfänge hat diese Do it yourself-Idee im Punk der 70er und geht zurück auf das berühmt berüchtigte „God save the queen“ von den Sex Pistols. Weil sie von A&M Records rausgeschmissen wurden, verschob sich die geplante Veröffentlichung der Single von 1976 auf 1977. Ausgerechnet! Denn in diesem Jahr feierte Königin Elisabeth II. ihr 25-jähriges Thronjubiläum. Radio- und Fernsehsender boykottierten die Band, der nun das Image der Anti-Royalisten und sogar Faschisten anhaftete.

Plattenfirmen reagierten sensibel und nahmen jetzt Abstand von Künstler*innen, die eventuell Provokationen hervorrufen könnten. Daraufhin gründeten sich viele kleine Label, die sich der „Schwervermarktbaren“ annahmen. Das war im folgenden Jahrzehnt der Nährboden für verschiedenste Musikstile von Post-Punk über New Wave bis hin zu Hardcore (mit zahlreichen Subkulturen), die uns so großartige Bands wie Joy Division, The Cure oder die Beastie Boys schenkten.

Diese Entwicklung gipfelte in den USA vorerst im Grunge mit Soundgarden, Alice in Chains und natürlich Nirvana. Hierzulande entstand die Hamburger Schule mit Tocotronic und Tomte.

In UK baute man im Britpop mehr auf der Tradition von The Rolling Stones, The Kinks, The Searchers oder The Beatles auf. Blur, The Verve und Oasis wurden wiederum Wegbereiter für die Indiebands der frühen 2000er.

Ihr seht also Indie hat viele Gesichter und die Szene bezeichnete in diesem Fall nicht die extrem heterogene Musiklandschaft, sondern die Fans der jeweiligen Stile. Es handelte sich auch nicht um eine Jugendbewegung, die politisch oder gesellschaftskritisch motiviert war wie die Teds der 40er, Greaser der 50er oder eben noch die Punks.

Natürlich kann ich hier nur einen sehr groben und knappen Überblick geben, den ich auf die bekanntesten Namen runtergebrochen habe. Deutschland bot in diesem Zusammenhang nicht viel an und ist deshalb hier zu vernachlässigen. Die Mehrheit dieser Bands kam aus den USA und Großbritannien, aber es gab kurzzeitig auch den sogenannten Schweden-Boom.


The Hives aus Fagersta, gegründet 1993. Die Schweden feierten ihre ersten internationalen Erfolge erst mit ihrem 1999er-Album „Veni Vidi Vicious“ und dem Nachfolger „Tyrannosaurus Hives“ 2004. Ihr Markenzeichen sind uniforme, maßgeschneiderte Anzüge in schwarz-weiß, die im Gegensatz zu ihrem rebellischen Garage-Punk steht.



(Quelle: www.facebook.de )


Mando Diao aus Borlänge, gegründet 1999. Um das Quintett kam man damals einfach nicht herum. Sie spielten auf sämtlichen deutschen Festivals und die Kritiken für ihr drittes Album „Ode to Ochrasy“ (2006) überschlugen sich. Aus diesem Album hören wir jetzt ihre Single „Long before Rock´n´Roll“ live aus dem SpinHouse.




Neben Schweden lieferte Australien in Sachen Indie schon seit den frühen Neunzigern ab. Vorreiter waren The Vines aus Sydney mit hartem Grunge kombiniert mit gefühlvollen Texten. Bereits 1994 gegründet, begann ihre Hochzeit 2002 mit einer großangelegten Tour durch die Heimat, die USA und Europa und dem Album „Highly Evolved“ aus dem wir jetzt „Mary Jane“ live aus dem „Electric Ballroom“ hören.




Jet aus Melbourne, gegründet 2001, bezeichnen sich selbst als Retrorocker für die die 60er maßgebliche Inspiration sind. Sie benannten sich nach einem Paul McCartney-Song und propagieren einen geradlinigen, schnörkellosen Stil.


Arcade Fire aus Montreal und Quebec, gegründet 2001. Die Gruppe um das Ehepaar Régine Chassagne und Win Butler ist seit ihrem Debüt „Funeral“ 2004 Liebling der Kritiker und wird für ihre Mischung aus Dance-Rock, Art Rock und Barock mit Preisen überhäuft.




The Strokes aus New York, gegründet 1998, um Sänger Julian Casablancas gelten als Auslöser des Hypes. Ihr erstes Album „Is this it“ (2001) ist heute ein Klassiker des Garage Rock. Ungewollt definierten sie den Look der Szene, indem sie Skinny Jeans und Chucks zum Trend machten. Cheap Monday und Converse verdienten sich dumm und dämlich.



(Quelle: www.wegow.com )


Als ich das erste Mal „The hardest bottom to bottom“ hörte, wusste ich sofort, dass The White Stripes eine Klasse für sich sind. Das Duo aus Detroit, gegründet 1997, klang anders, sah anders aus und verströmte den dreckig-bluesigen Duft einer fremden Welt. Ihre beiden Alben „Elephant“ (2003) und „Get behind me satan“ (2005) überragen an Genialität im Detail bei gleichzeitiger Simplifizierung im Großen zeitgenössische Platten wie Gulliver die Liliputaner.

Es wäre nur logisch an dieser Stelle ihren Überhit „Seven Nation Army“ zu spielen, aber ich habe mich für meine Lieblingssingle „My doorbell“ entschieden. Dieser Auftritt bei „Later with Jools Holland“ ist von 2007 mit dem Gastgeber höchstpersönlich am Piano.




Ein Name ist mit dieser Zeit verhaftet wie kein anderer: Pete Doherty! Gleichzeitig von Kritikern zur neuen Lichtgestalt des Rock´n´Roll erhoben und von Drogen kaputt gemacht. Zusammen mit seinem besten Freund Carl Barât gründete er 1997 in London The Libertines, die besonders in der Heimat beachtliche Erfolge verbuchen konnten. Nach mehreren Streits, erfolglosen Entzugsversuchen Dohertys und letztendlich Auftritten ohne diesen, kam es 2010 endgültig zum Bruch.

In weiser Voraussicht beteiligte sich Pete Doherty noch während der letzten Atemzüge der The Libertines an einem neun Projekt. Obwohl die Begeisterung für sein Talent als Songschreiber ungebrochen war, wurde „Down in Albion“ (2005) von den Babyshambles nicht mehr so hochgelobt. Daraus hören wir jetzt das wunderbar rotzige „Fuck forever“, eines meiner Lieblingslieder aus dieser Dekade, live vom Festival Soirs d'été 2013.




In einem Interview Mitte der 00er Jahre sagte Thees Uhlmann über Doherty: „Wir sehen diesem Mann gerade beim Sterben zu.“ Und ich dachte, er wird wahrscheinlich der Kurt Cobain unserer Generation. Doch Gott sei dank hat es sich nicht bewahrheitet. Leider hat er sich aber bis heute nicht in den Griff gekriegt. Immer wieder kassiert er Geld- und Gefängnisstrafen für Drogenbesitz oder Straftaten, die er unter Drogeneinfluss begangen hat.


Franz Ferdinand aus Glasgow, gegründet 2001. Der Höhepunkt der Welle wird 2004 um die Veröffentlichung ihres Debüts „Franz Ferdinand“ verortet. Mit ihrer Mischung aus New Wave, Britpop und Siebziger Punk brachten sie nochmal eine ganz neue Farbe mit ins Spiel. Aus diesem Erstling hören wir jetzt die vierte Singleauskopplung „Michael“, denn erst der hat mich auf die Schotten aufmerksam gemacht.




Maximo Park aus Newcastle, gegründet 2001. Ihre Herkunft ist unschwer am charmanten Dialekt des Sängers Paul Smith zu erkennen. Stets schick in Anzug mit Hut und Krawatte spielten sie sich mit ihrem Post-Punk mit New Wave-Anleihen zu einer der beliebtesten Bands dieser Zeit. Das Debüt „A certain trigger“ (2005) und sein Nachfolger „Our earthly Pleasures“ (2007) erhielten Gold in Großbritannien und aus letzterem hören wir jetzt den wunderschönen Trennungs-Song „Books from Boxes“.




Die Kaiser Chiefs aus Leeds, gegründet 2003, waren meine Favoriten aus UK. Ihr Debütalbum „Employment“ (2005) lässt sich am Besten mit dem Spruch „All Killer, no Filler!“ beschreiben. Unbestritten eines der herausragendsten Alben des Jahrzehnts, das überquillt von dynamischen Melodien und Texten mit Lokalkolorit.

Hier spielten sie auf dem Glastonbury 2014 daraus ihren Top 10-Hit und meinen Lieblingssong „I predict a riot“.




The Kooks aus Brighton, gegründet 2004, starteten als Studentenband und lieferten mit ihrem Debüt „Inside In/ Inside Out“ (2006) eines der erfolgreichsten Alben des jungen Jahrtausends ab. Es erreichte fünffachen Platinstatus!

Dabei schieden sich an ihnen die Geister. Auch mir waren sie immer zu nett, ja zu lahm. Einfach 0-8-15. Vergessen wie gehört. Eine musikalische Existenz ohne Substanz.



(Quelle: www.pinterest.de )


Last but not least: Die Arctic Monkeys aus Sheffield, gegründet 2002. Für das Quartett begann alles mit einer Fanpage auf MySpace auf der Fans erste Demoaufnahmen hochluden, die auf Konzerten kostenlos verteilt wurden. Ihr Album „Whatever people say I am, that´s what I´m not“ von 2006 ist das am schnellsten verkaufte Debüt Großbritanniens aller Zeiten.

Abseits der Bühne eher scheu, entwickelte sich Alex Turner trotzdem über die Jahre zu einem amtlichen Frontmann mit wechselnden Images und Starqualität. Hier spielen sie den Song, der sie berühmt machte „I bet you look good on the dancefloor“ live beim NOS Alive 2018.




Mediale Aufmerksamkeit erfuhren hauptsächlich männliche Künstler und insbesondere Bands. Doch wie immer ging auch hier nichts ohne weiblichen Input. Ob solo wie die Texanerin St. Vincent mit ihrem Art-Poprock und die Britin Imogen Heap mit ihren frühen Alternative Rock-Alben. Oder als Frontfrauen wie z.B. Karen O bei den Yeah Yeah Yeahs oder Emily Haines von Metric, die hier ihr großartiges „Monster Hospital“ (2006) live im MTELUS, damals noch Métropolis, spielen.




Da die meisten von ihnen bereits bei großen Plattenfirmen unter Vertrag waren als die bereite Öffentlichkeit Notiz von ihnen nahm und sie somit streng genommen schon Mainstream waren, fiel unter Eingeweihten oft der Satz: „Ich kannte die schon bevor die cool waren.“ Und darauf bildeten wir uns was ein!

Das lag daran, dass man Musik damals noch anders konsumierte. Radio und Musiksender setzten sie uns vor. An Streaming Dienste wie Spotify oder Deezer, wo einem ein Algorithmus dreistündige Playlisten mit Vorschlägen errechnet, war nicht zu denken.

Während wir erwachsen wurden, wuchsen wir auch in das World Wide Web hinein und stöberten in Foren, auf MySpace und YouTube nach Audios und Songtexten. Dadurch wurde die Beziehung, die man zu diesen Künstler*innen hatte irgendwie persönlicher. Man fühlte sich dabei wie ein Entdecker von Rotem Beryll und Schwarzem Opal.

Und dieses Qualitätsverständnis hat mich bis heute geprägt. Wenn jemand zu mir sagt: „Ich höre Charts.“ als wäre das eine bestimmte Art von Musik, könnte ich brechen.

Ich wohnte bis 2008 in einem kleinen Kaff relativ weit ab vom Schuss und kannte niemanden mit dem ich mich über diese Musik unterhalten konnte. Einmal sagte jemand zu mir: „Ich höre auch Indie.“ und nannte diese unsäglichen Hoobastank. Ja, die veröffentlichten 1998 ihr erstes Album ohne Plattenfirma, aber ehrlich... Dieser uninspirierte Radiorock, wenn man auch Bloc Party hören kann?




Außerdem war das die Zeit, in der wir zum ersten Mal Clubs und Konzerte besuchten. Itchy Poopzkid (heute nur noch Itchy) sah ich mir zweimal im „Centrum“ in Erfurt an, weil sie so schönen Oldschool-Punk machen. 2000 im beschaulichen Eislingen an der Fils (an der Fils) als Coverband ins Leben gerufen, gelang ihnen 2007 der große Durchbruch. Ihr Debütalbum veröffentlichten sie schon 2005 und daraus hören wir jetzt das melancholische „Back to ´82“.




So laut und ungestüm diese Ära war so still und leise ging sie zu Ende. Wie kam´s?

Genauso wie ihre meist gleichaltrigen Fans wurden die Musiker*innen älter. Die Sturm und Drang-Zeit war vorbei und sie entwickelten sich musikalisch weiter. Doch das Gros von ihnen ist noch da.

The Strokes gibt’s noch.

The Vines gibt’s noch.

Kings of Leon gibt’s noch.

Shout out louds gibt’s noch.

Mando Diao machen jetzt Synth-Rock.

Arcade Fire ließen Fans als sie bei einem Major Label unterschrieben.

The Hives treten noch auf, aber ihre letzte Platte ist zehn Jahre alt.

Jet lösten sich 2012 auf und sind seit 2016 mit neuer Besetzung zurück.

The Libertines feierten 2015 ein Comeback.

In diesem Sinne schließe ich diesen Beitrag mit einer aktuellen Single von... Ich habe mich kurz durch die neusten Songs dieser Künstler*innen gehört und auf die Schnelle nix gefunden, was mir zugesagt hat. Deshalb Obacht! Programmänderung!

Eigentlich wollte ich dieses Video früher in diesem Blogeintrag zeigen, aber tatsächlich passt es sogar viel besser an den Schluss. Dieser Song wird oft als die Hymne der Szene beschrieben, doch das ist viel zu kurz gegriffen! Er hat eine ganze Generation in seinen Bann gezogen und dabei brauchte er zwei Anläufe um ein Hit zu werden. Im Herbst 2003 erschien „Mr. Brightside“ quasi unbemerkt als Debütsingle der The Killers. Einige Monate später wurde es mit neuem Video re-released und ging durch die Decke. Fast zwanzig Jahre nach seiner Premiere ist er der meistgestreamte Song, der vor 2010 veröffentlicht wurde, und seit 2018 durchgehend in den Top 100 Großbritanniens.

Insofern ein Kuriosum, da der Text nicht an das Wir-Gefühl appelliert oder mit einem bestimmten Ereignis verbunden wird. Er dreht sich um Eifersucht und hat nicht mal eine zweite Strophe. Die Magie dieses Liedes besteht in seiner bombastischen Komposition, dem charismatischen Gesang und der Mitsing-Qualität.

Brandon Flowers wollte gezielt einen Song wie „Don´t look back in Anger“ schreiben bei dem das Publikum aus vollem Halse mitsingen kann. Was soll man sagen? Jede/r kennt es. Jede/r kann es.

Die Frage, was aus The Killers wurde hat sich übrigens nie jemand gestellt.

Und mit dem folgenden beeindruckenden Auftritt vom TRNSMT Festival in Glasgow 2018 entlasse ich Euch zurück ins Heute.




Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende!



Eure TinTro



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