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  • AutorenbildTinTro

Eckdaten: Freiheit

Wer keine Hintergrundinformationen zu meinen Werken hat, hält sie sicher für abstrakte Kunst. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied. Beim abstrakten Malen, in purer Ausführung, lässt sich der Künstler/ die Künstlerin von seinen/ ihren Emotionen leiten. Kombiniert Farben nach Laune und Geschmack. Formen entstehen eher zufällig. Es ist ein spontaner Akt.

Das ist in meinem Fall völlig anders.




Die Synästhesie gibt mir fast alles vor: Farb- und Formauswahl, Anzahl der Bildobjekte und mögliche Kontraste.

Es herrscht auch keine raue Beliebigkeit, sondern eine klare Anweisung. Synästhetische Eindrücke sind nicht beeinflussbar. Das Gehirn kann sie nicht steuern. Es sind vielmehr willkürliche Assoziationen ohne Grund und ohne Erwartungen. Sie sind einfach da. Reflexe, die ich abmale. Meine Darstellungen sind der Versuch sie zu greifen, sie zu bannen, ihnen ein Gesicht zu geben, in das alle schauen können.

Also, natürlich bin ich an diese Assoziationen gebunden, aber genau durch diese Gebundenheit bin ich frei, weil Nichts von mir verlangt wird.

Selbst die Ästhetik ist dabei völlig irrelevant. Darüber habe ich schon ausführlich in einem früheren Teil von „Eckdaten“ geschrieben. Auch, wenn ich persönlich finde, es fehlen blaue oder grüne Töne in einem gelb- und rotlastigen Bild - sehe ich sie nicht, male ich sie nicht. Was nicht geht, geht nicht.

Für meine eigenen Ideen ist kein Platz und ich muss auch gar keine haben. Ich stehe nicht unter dem Druck ständig Neues zu liefern.

Habe ich es mit den gelben Kreisen übertrieben? Sollte ich öfter Violett verwenden? An derlei Fragen muss ich keinen Gedanken verschwenden.



("Blood, Sugar, Sex, Magik", 19. Dezember 2018, 40x60cm; Acryl auf Leinwand)


Ich muss lediglich drei Entscheidungen treffen: Motiv, Komposition, Format.

Zuerst, welches Musikalbum wähle ich als Motiv. Dazu habe ich auch bereits einen eigenen Beitrag von „Eckdaten“ verfasst. Damit steht die Anzahl der Bildobjekte schon fest, denn diese wird bestimmt von der Anzahl der Songs plus Titel.

Einzig die Komposition ringt mir etwas Kreativität ab. Mit den limitierten Vorgaben gestaltet sich das zuweilen recht schwierig. Im Rahmen der Möglichkeiten nutze ich Hell-Dunkel-, Komplementär-, Quantitätskontraste etc. Verschiedene Formen, z.B. Kreise und längliche Kästen, bilden dynamische Gegensätze und flächige Songs können mit getupften verziert werden. Indem ich sie horizontal und vertikal zueinander ausrichte, erzeuge ich weitere Spannung.

Herausfordernd ist meist den richtigen Farbton zu treffen. Es reicht nicht immer mit Weiß aufzuhellen oder mit Schwarz abzudunkeln. Manchmal braucht ein Beige einen Hauch Orange, damit es sonniger oder ein Rot einen satten Schuss Pink, damit es beeriger wirkt.

Die Farben sind zwar die Visualisierung meiner synästhetischen Eindrücke der jeweiligen Lieder, aber sie stehen auch einfach für sich selbst. Sie haben keine Symbol- oder Gegenstandsfunktion im herkömmlichen Sinne. Das zumindest hat meine Arbeit mit der reinen Abstrakten Malerei gemeinsam.

Bevor ich überhaupt beginne, habe ich zwar eine Idee im Kopf, aber sobald die Farben anfangen mit mir zu kommunizieren, teilen sie mit, was sie brauchen. Sie wollen, dass ich ihrem Charakter gerecht werde. Doch der entfaltet seine volle Kraft erst direkt auf der Leinwand.

Deshalb weiß ich selbst nie, wie das Endergebnis aussehen wird und kann erst zum Schluss und ganz subjektiv über Hoch- oder Querformat entscheiden.



("Emotional rescue", 7. Januar 2020, 40x60cm; Acryl auf Leinwand)


Ich bin ebenso ein großer Film-Fan, lese wahnsinnig gerne, habe meine Lieblingsserien und interessiere mich selbstverständlich für Malerei. Musik ist jedoch ein besonders sinnliches Erlebnis. Wir haben zwei Sinne, die, bei bestimmter Reizung, in Sekunden, Erinnerungen in uns wach rufen können. Das Hören und das Riechen.

Das WG-Waschmittel. Das After Shave, das er beim ersten Date trug. Aber auch der Gestank des Mülls im Hof eines Restaurants, in dem ich mal gejobbt habe. Da kamen Essensreste, Plastikabfall und Zigarettenstummel zu einem eigentümlichen Geruch zusammen.

Genauso verhält es sich doch mit Musik. Im Laufe des Lebens ändert sich unser Musikgeschmack. Bis man 14, 15 ist, hört man, was man von Musiksendern und -portalen oder dem Radio vorgesetzt bekommt. Das, was in den Charts platziert ist und was irgendwie jeder gut findet. Aber in der Pubertät, in einer Zeit, in der man langsam anfängt zu begreifen, wer man ist und was man mag, findet man auch zu der Musik, die einem eigentlich gefällt. Die meisten von uns bleiben den Künstler*innen dann bis ins Erwachsenenalter treu. Manche, weil sie sie wirklich lieben. Andere, weil sie nicht mehr richtig Musik hören. Plötzlich hat man Wichtigeres zu tun als sich mit Liedern und Interpreten zu beschäftigen.

Aber auf einmal singt ein Kind im Park den Song aus der Bugs Bunny – Show und man denkt zurück an seine Kindheit.

Mit zwanzig hatte ich schlimmen Liebeskummer und tröstete mich mit „Tender“ von Blur. Zwölf Jahre später erinnert mich das Lied immer noch daran.



("ReLoad", 19. August 2018, 40x60cm; Acryl auf Leinwand)


Ich stelle an meine Bilder nicht den Anspruch große Kunst zu sein. Ich möchte, dass sie Menschen dazu bewegen, sich mit Synästhesie auseinander zu setzen. Vielleicht entdeckt dabei noch jemand eine gute Platte oder hört mal in ein Genre rein für das er/sie vorher nichts übrig hatte.

Und wo ich gerade in Erinnerungen an früheren Herzschmerz schwelge: Ein anderer Song, den ich damals ab und an gehört habe, war „Tears try on their own“ von Amy Winehouse. Als die Nachfolgesingle erschien, hatte ich meinen Mann dann doch noch gekriegt. Mittlerweile leistet das Lied mir keinen Beistand mehr, sondern macht einfach Spaß. Es hat schöne weiße Linien, die sich in geraden Bahnen entlang ziehen bis sie in ein zartes blau übergehen. Sehr hübsch!




Für mich persönlich ist das Malen einfach eine andere Art meine Wahrnehmung zu erfahren. Ich nehme die Synästhesie aus mir heraus um sie mit Interessierten zu teilen. Ich tauche in die Musik ein und vermische mich auf der Leinwand mit ihr. Die Bilder sind also ein Ausdruck meines tiefsten Selbst.

Wie ich schon einmal erwähnt habe, wäre es wirklich toll zu sehen, wie andere Synästhesist*innen dieselben Alben malen würden. Denn so individuell wie jeder Mensch, ist auch die Synästhesie. Man kann meine Bilder nicht als allgemein feststehende Impression des Farbenhörens betrachten.

Das war diesmal ein kurzer Einblick in meine Arbeitswelt. Jedoch halte ich ihn für wichtig um meine Kunst und meine Rolle in vollem Umfang zu verstehen.

Falls Ihr jetzt Lust bekommen habt auch die restlichen Teilen von "Eckdaten" zu lesen, wünsche ich Euch dabei viel Spaß!



Ich wünsche Euch allen ein entspanntes Wochenende!


Eure TinTro


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