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Synästhesie & Co. - Hochsensibilität

Mit diesem Beitrag beginnt eine neue Serie im Blog. Im Zusammenhang mit Synästhesie tauchen nämlich unterschiedliche weitere Begriffe, wie Absolutes Gehör oder Savant-Syndrom auf, die ich in „Synästhesie & Co.“ im einzelnen vorstellen und ihre eventuellen Beziehungen zueinander darstellen möchte.

Zuerst widmen wir uns heute aber der Hochsensibilität. Da das ein komplexes Feld ist, wird hier nur grob darauf eingegangen, denn für eine ausführliche Abhandlung ist mein Blog nicht die passende Plattform.

Hochsensibilität ist eine Form der Wahrnehmung bei der selbst subtilste Reize aufgenommen werden. Die Evolution, klug wie sie ist, hat uns einen Filter eingebaut, der Informationen von außen in wichtig und unwichtig aufteilt. So verarbeitet unser Gehirn nur die Reize, die im Moment gebraucht werden. Ein natürlicher Schutz vor Reizüberflutung, Dank dem man in Ruhe bei gekipptem Fenster lesen kann, während man den Straßenlärm zu einem leisen Hintergrundrauschen ausblendet. Die Filter Hochsensibler sind durchlässiger. Sie registrieren also mehr Details als „Normale“ und müssen daher mehr Reize verarbeiten.

Ihr könnt Euch vorstellen, dass das in einer hektischen Großstadt, auf einer Familienfeier oder in einem Großraumbüro herausfordernd und erschöpfend sein kann.

Die obige Definition ist aber nicht wissenschaftlich anerkannt. Weder Psychiater*innen, noch Biolog*innen, noch Neurophysiolog*innen haben je eine formuliert. Dabei beschäftigten sich bereits C.G. Jung und Iwan Pawlow, letzterer in der Verhaltensuntersuchung von Tieren, damit. Neu ist die Kenntnis um das Phänomen demnach nicht. Trotzdem werden bisher lediglich Vermutungen angestellt: Sie ist wahrscheinlich angeboren und wird wahrscheinlich vererbt. Parallelen zur Synästhesie bestehen also schon, was Laien dazu verleitet sie für eine Form davon zu halten. Expert*innen trennen die beiden Konditionen jedoch deutlich voneinander. Häufig gehen sie zwar Hand in Hand, aber sie bedingen sich nicht. Dem widerspricht schon die Statistik: 15 – 20% der Bevölkerung haben Hochsensibilität, dagegen nur 4 – 10% Synästhesie.

Sowie jeder Sinn synästhetisch reagieren kann, kann auch jeder hochsensibel sein. Meistens sind Hören, Riechen und Schmecken stärker aufnahmefähig.

Laut der, zugegebenermaßen, wenigen Fachliteratur besitzen Hochsensible ein spitzen Langzeitgedächtnis, arbeiten gewissenhaft, sind Harmonie bedürftig und haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Die Erinnerung an Erlebnisse bleibt auf der Gefühlsebene für eine Weile präsent. Faszinierend! Ich brauche zwei, drei Tage um ein einschneidendes Ereignis überhaupt zu realisieren.

Bei der Beschreibung ihrer Denkweise liest man häufig „synergetisch“. Sie nähern sich einem Sachverhalt vom Großen und Ganzen her, anstatt von einem einzelnen Aspekt auszugehen. Dabei bilden die Gedankengänge ein Netz aus Ideen und Assoziationen und schaffen einen umfangreichen Überblick. Ebenfalls erstaunlich!

Ihre krasseste Fähigkeit ist aber das Spiegeln der Emotionen ihrer Mitmenschen. Ein hohes Maß an Empathie macht es ihnen möglich, sich in die Situation Anderer ganz exakt hinein zu fühlen. Man könnte sagen, sie haben sehr feine Sensoren mit denen sie selbst minimale verbale und nonverbale Zeichen bemerken. Viele sagen, dass sie deswegen keine Filme anschauen können. Entweder, weil die traurigen Schicksale sie zu sehr mitnehmen oder weil sie die Schmerzen eines Gewaltopfers selbst spüren.

Ich hingegen gucke ja sehr gerne Filme. Zwar gibt es bestimmte Streifen, die mich emotional aufwühlen, aber es ist nicht dasselbe. Zum Beispiel weine ich jedes Mal am Ende von „Ist das Leben nicht schön?“ Aber man muss schon aus Stein sein, wenn man von der Solidarität der ganzen Stadt mit dem unglückseligen George Bailey nicht ergriffen ist. Und dann klingen die Glöckchen und Clarence bekommt seine Flügel und alle singen...Entschuldigung, ich schweife ab!

SPOILER-WARNUNG! Am Ende von „Philadelphia“ flenne ich auch jedes Mal. Der AIDS-kranke Tom Hanks liegt im Bett und man weiß, es ist bald vorbei, aber er ist so tapfer. Allein dran zu denken, macht mich fertig.

Sogar das Ende von „Alien Resurrection“ treibt mir die Tränen in die Augen. Ich kann nicht hinsehen und halte mir die Ohren zu, wenn dieses arme Alien einen grausamen Tod stirbt. Ich halte seinen Blick und die Schreie nicht aus. Nicht weil ich mich in dem Moment ähnlich verängstigt fühle. Es sind die Umstände, die mir zu schaffen machen. Das Alien wurde von Menschen an diesen Ort gebracht, ohne Artgenossen, es folgt einfach seinen Instinkten. Dafür wird es von Ripleys Hand, die es als ihm mütterlich zugetan empfand, getötet. Noch dazu dauert sein Sterben eine Ewigkeit! Das alles erschüttert mich, aber meine Reaktion hat nichts mit Hochsensibilität zu tun. SPOILER-ENDE!

Außer rührenden Finalen fällt mir noch eine Trauungsszene aus „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ ein. Vater Gerald, gespielt von Rowan Atkinson, verhaspelt sich ständig während der Zeremonie und bringt die Namen des Brautpaares durcheinander. Er ist angespannt und aufgeregt und genauso fühle ich mich auch, wenn ich das sehe. Ich versuche mich abzulenken, wenn sie läuft, weil sie mich wirklich anstrengt. Vielleicht spiegele ich nur die Emotionen von Mr. Bean...

Bei Hochsensiblen kann es soweit gehen, dass sie, an einem Tisch im Restaurant mit mehreren Personen etwa, so viele Gefühle empfinden, dass sie nicht mehr unterscheiden können, ob es ihre eigenen sind oder die der anderen. Deshalb soll es ihnen schwer fallen, ihr Innerstes auszudrücken oder es überhaupt zu verstehen.

Sie müssen sich Sätze anhören wie: „Du bist bloß nervös.“, „Was bist Du nur für eine Heulsuse!“ und (wahrscheinlich der Klassiker) „Stell Dich nicht so an!“

Doch oft haben sie selbst keine Ahnung, was mit ihnen los ist. Ablehnung und Herunterspielen seitens ihres Umfeldes führen oftmals zu Rückzug. Sie verkriechen sich lieber allein zu Hause, um neben der kräfteraubenden Reizaufnahme auch dem Spott zu entgehen. Dieser Umstand befeuert das Vorurteil, sie wären schüchtern oder gar ängstlich, regelrecht soziophob. Außerdem könnten sie nur schlecht mit Druck und Stress umgehen. Kann man ihnen das verdenken?

Dieses Profil passt selbstverständlich nicht auf jede/n Hochsensible/n wie gespuckt. Falls Ihr Euch dennoch darin erkennt, könnt Ihr im Internet ein paar Tests zu dem Thema finden. Deren Aussagekraft ist zum Teil umstritten, eben weil eine feste Definition fehlt. Natürlich habe ich auch ein paar gemacht. Der Neugierde halber und um Euch ein bisschen dazu zu berichten. Einer davon war auf psychomeda von dem Ihr unten die Auswertung seht. Dort werden Hochsensible in drei Typen aufgeteilt – sensibel-ausgeglichen, sensibel-erregbar und sensibel-schutzlos. An anderen Stellen wird wiederum von verschiedenen Abstufungen der Intensität der Reizaufnahme gesprochen. Also, hier auch keine Klarheit. Nichtsdestotrotz halte ich sie für eine erste Orientierung geeignet. Wer hochsensibel ist, aber das bisher noch nicht für sich selbst einordnen kann, hat hiermit eine gute Starthilfe.

Psychomeda bescheinigte mir 81% Übereinstimmung mit dem sensibel-erregbaren Typen. Im Folgenden das Ergebnis:


"Das bedeuten Ihre Werte im Einzelnen


Innere und äußere Reize werden in einem normalen Ausmaß empfunden und erlebt. Ihre Sensibilität ist durchschnittlich ausgeprägt. Sie sind vor zu starken Eindrücken geschützt, bekommen von Ihrer Umwelt jedoch auch viel mit. Außerdem sind Sie leicht erregbar. Kleinigkeiten stören Sie sehr schnell, sie sind leicht verärgert, verletzt oder berührt. Ihr Gefühlsleben ist ein Auf- und Ab. Es gelingt Ihnen oft gut, Informationen und Eindrücke zu filtern und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Bereits als Kind galten Sie als sensibel und empfindsam. Sie brauchten mehr Schutz und Aufmerksamkeit. "


Ich weiß nicht recht, was ich damit anfangen soll. Ich kann mir das Resultat größtenteils erklären: In allen Tests wurde nach der Schreckhaftigkeit gefragt. Da habe ich immer „trifft genau zu“ angekreuzt. Ich bin nun mal schreckhaft. Das mag ich sogar irgendwie, mich zu erschrecken.

Viele Antworten, die als Zeichen für Hochsensibilität gewertet werden, führe ich auf die Synästhesie und die Misophonie zurück. Die Tatsache, dass ich Farben und Formen aufmerksam registriere beispielsweise und dass mir manchmal Geräusche unangenehm sind.

Eine Sache ist nicht richtig. Ich bin auch auf emotionaler und körperlicher Ebene extrem leicht reizbar. Jedoch ist es anders als ob im Testergebnis gemeint. Wenn mich jemand nervt, fahre ich schnell hoch, aber genauso schnell wieder runter. Kleinigkeiten stören mich nicht. Das hatte ich auch genauso geantwortet, trotzdem wurde es gegenteilig ausgewertet. Ist das weil ich angegeben habe, dass ich sehr kitzlig bin?

Für alle Interessierten ist hier der Link:



Unkomplizierter ist da der Test von Elaine Aron. Die Psychologin ist Pionierin auf diesem Gebiet, selbst hochsensibel und brachte in den 1990ern das Thema erstmals in die breite Öffentlichkeit. Lediglich 27 Fragen müssen mit Ja oder Nein beantwortet werden. Bejaht man zwölfmal hat man mit Sicherheit Hochsensibilität. Wobei weniger nicht unbedingt völlig ausschließt, dass man keine hat. Darauf wird extra hingewiesen. Seid Ihr trotzdem der Meinung, hochsensibel zu sein, tauscht Euch am Besten in Foren oder Facebook-Gruppen mit anderen „Betroffenen“ aus. So habe ich es mit meiner Synästhesie damals auch gemacht.


Hier der Link zu Arons Test:



Dieser ist das Vorbild für die Mehrheit solcher Tests, deswegen sind die Fragen oft dieselben.

Aron zufolge bin ich eindeutig nicht hochsensibel. Sei es drum. In vieles, was Hochsensible über ihre Wahrnehmung erzählen kann ich mich nicht hineinversetzen. Deshalb sollte an dieser Stelle jemand zu Wort kommen, der aus Erfahrung sprechen kann. Autorin und Filmemacherin EllaTheBee, den meisten bekannt von YouTube, erzählt im Video von ihrem Alltag und wie sie mit der Hochsensibilität umgeht.




Komischerweise erzählen mir auch oft Leute, die ich entweder nicht lange kenne oder nur flüchtig, von ihren Problemen. Strahle ich etwa auch so etwas aus wie Ella? Erscheine ich vertrauenswürdig und verständnisvoll?

Das ist insofern kurios, da ich mir selbst durchaus einen Mangel an Emphatie bescheinigen würde. Was ja dann ein starkes Anzeichen gegen eine Hochsensibilität ist. Sie erzählen mir wirklich Dramatisches und ziemlich Intimes, aber ich weiß nie, was ich dazu sagen soll. Ich werfe zwischendurch mal ein „Das ist echt furchtbar!“ oder „Oh, Scheiße!“ ein. Danach wird mir gedankt, weil ich so gut zuhören kann. In Wahrheit sind das fast jedesmal Situationen aus denen ich mich nicht so einfach befreien kann und daher keine andere Wahl habe als mich auf das einseitige Gespräch einzulassen.

Ella sagt außerdem, zu wissen, dass es für ihren Zustand einen Begriff gibt, habe ihr sehr geholfen. Das war bei mir mit der Synästhesie genauso. Da beide Phänomene recht unerforscht sind und medial erst in jüngster Zeit im größeren Rahmen stattfinden, haben die Wenigsten von uns je davon gehört. In der Regel läuft da so ab: Man beginnt an der korrekten Funktion seines Verstandes zu zweifeln. Irgendwann stößt man zufällig auf einen merkwürdigen Fachausdruck, beliest sich dazu und stellt fest, die befürchtete Verrücktheit ist tatsächlich harmlos und sogar eine richtige Sache mit einer eigenen Bezeichnung.

Ähnliches berichtet auch die Leiterin einer Musikschule und Bloggerin Gabriele Zimmermann auf Musikdidatik.net . Dort hat sie speziell über Hochsensibilität bei Musiker*innen geschrieben.



Manche Psychologen kategorisieren Hochsensibilität nicht unter Wahrnehmungsphänomene wie die Synästhesie. Die einen sehen in ihr bloß eine Eigenschaft, die anderen eher ein Temperament. Dann gibt es noch die, für die das Ganze reiner Quatsch ist. Über die Synästhesie wurde damals auch viel diskutiert. Heute ist sie offiziell eine Art der Sinneswahrnehmung. Zumindest in Fachkreisen zweifelt niemand an ihrer Existenz und sie gilt nicht länger als abnormal. Und das obwohl auch sie nur zu einem Bruchteil erforscht ist.

Hochsensibilität ist gerade en vougue. In Zeiten von Selbstdarstellung auf Instagram, YouTube und TikTok (und wo die jungen Leute sich sonst noch im Netz rumtreiben), wo jeder auf Biegen und Brechen ein Schneeflöckchen sein möchte, behaupten mittlerweile einige hochsensibel zu sein ohne wirklich zu wissen, was das eigentlich heißt.

Außerdem, dass Hochsensibilität ein Anzeichen für Autismus und Asperger sein soll, ist definitiv eine Fehlinformation. Auch die Annahme, sie gehe immer mit Hochbegabung einher oder ist sogar ein reines Synonym für diese, ist falsch. Keine Sorge Hochsensible, Ihr sind nicht krank und ihr habt auch keine Störung.

Ob sie nun eine Form der Sinneswahrnehmung, ein Charakterattribut, eine Wesensart oder eine Erfindung von Elaine Aron ist, mag ich nicht zu beurteilen und das steht mir auch gar nicht zu. Denn nicht zu vergessen ist bei all dem, dass grundsätzlich jeder Sinnesreize individuell aufnimmt und verarbeitet. Bei Hochsensiblen lassen die Filter einfach ein paar Signale mehr durch.

Welches Fazit ziehe ich aber jetzt daraus? Bin ich hochsensibel? Dafür müsste erstmal die Frage geklärt werden, ob es nur entweder oder gibt. Und wenn doch mehrere Stufen differenziert werden, wie viele wären das dann? Schnell werden wir darauf sicher keine Antworten bekommen. Auf diesem Gebiet wird, wie gesagt, kaum geforscht, aber das Interesse steigt langsam.

Am Anfang meiner Recherchen war ich überzeugt, nicht zu den Hochsensiblen zu gehören.

Nach der Beschäftigung mit dem Thema komme ich zwar trotzdem für mich zu dem Schluss, selbst nicht hochsensibel auf Reize zu reagieren, schließe aber nicht aus, vielleicht eine schwache Ausprägung haben zu können, sofern es diese geben sollte.


Hoffentlich, hat Euch der kleine Einblick in diese spannende Thematik gefallen!

Ich habe mir Mühe gegeben, die gesammelten Informationen korrekt wiederzugeben. Das war, offen gestanden, eine ordentliche Menge. Sollte etwas nicht richtig sein, gebt mir bitte Bescheid! Danke!



Euch wünsche ich ein wunderschönes Wochenende! Bleibt zu Hause und haltet durch!


Eure TinTro


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